Die Kenntnis über die Transportmechanismen von Sauerstoff (O₂) und Kohlendioxid (CO₂) im Blut ist grundlegend für das Training der CO₂-Toleranz - nicht nur bei Apnoe-Sportarten, da sie die physiologischen Prozesse erklärt, die den Atemreiz auslösen. Atmung ist zudem der schnellste Hebel fürs autonome Nervensystem: Zwerchfell aktivieren, länger ausatmen, im Rhythmus bleiben – Puls sinkt, Stresshormone fallen, dein System fühlt Sicherheit. Das ist trainierbar. Und Visualisierung hilft beim Training – wenn du nachvollziehst, was im Körper passiert, wirken Übungen besser. Wenn du verstehst, was beim Atmen im Körper passiert und worauf es ankommt, kannst du Leistung, Gesundheit und Gelassenheit gezielt steuern.
Wenn wir an Atmung denken, kommt uns sofort der lebenswichtige Sauerstoff in den Sinn. Frische Luft einatmen, Energie gewinnen – so einfach scheint die Gleichung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist es vor allem das oft als Abfallprodukt betrachtete Kohlendioxid, das unser Atemsystem steuert, den nächsten Atemzug auslöst und bestimmt, wie gut der Sauerstoff überhaupt in unsere Muskeln gelangt.
In diesem Artikel tauchen wir mal ein wenig tiefer in die Physiologie der Atmung ein. Wir räumen mit Mythen auf und erklären, welche Rolle Sauerstoff und Kohlendioxid wirklich spielen, warum die sogenannte CO₂-Toleranz entscheidend für Sport und Alltag ist und plötzlich zu unserem Freund wird. Am Ende wirst du verstehen: Atmung ist in erster Linie Regulation – ein fein abgestimmtes Spiel mit Gasen, dem Säure-Basen-Haushalt und der Steuerung unseres Nervensystems. Wer diese Mechanik versteht, trainiert klüger, bleibt gelassener und nutzt sein volles Potenzial.
Unsere Atmosphäre ist eine stabile Mischung, die zu etwa 78 Prozent aus Stickstoff und 21 Prozent aus Sauerstoff besteht. Die Menge an Kohlendioxid ist mit unter 0,04 Prozent verschwindend gering. Beim Atmen passiert der Gasaustausch in den Lungenbläschen, den Alveolen. Dort nimmt das Blut Sauerstoff auf und gibt Kohlendioxid ab.
Die Zusammensetzung der ausgeatmeten Luft ändert sich also drastisch, oder? - Nun:
Stickstoff bleibt weitgehend unverändert bei stabilen 78 Prozent.
Sauerstoff sinkt von 21 Prozent auf etwa 14 bis 17 Prozent, da der Körper nur einen Teil der Atemluft wirklich verbraucht.
Kohlendioxid steigt hingegen an, von 0,04 Prozent auf bis zu 4 oder 5 Prozent.
Wasserdampf wird ebenfalls abgegeben, weshalb die ausgeatmete Luft feucht ist.
Die Zusammensetzung der Luft in unseren Alveolen ist noch einmal anders: Hier liegt der Sauerstoffgehalt bei etwa 13 bis 14 Prozent, während Kohlendioxid auf bis zu fünf bis sechs Prozent ansteigt. Der Transport des Kohlendioxid hat also im Atemprozess den im Verhältnis größten Anteil.

Manche meinen, CO₂ wäre nur Müll, den dein Körper möglichst schnell loswerden will. Die verbrauchte Luft sollte man zügig „wegatmen“ und gut ist. Genau so wird es ja oft erzählt. In Wirklichkeit ist Kohlendioxid aber alles andere als passiver Abfall. Es ist ein Taktgeber, ein Steuersignal – und ziemlich entscheidend dafür, wie gut Sauerstoff überhaupt im Körper ankommt.
Im Blut reist CO₂ auf drei Wegen. Ein kleiner Teil schwimmt einfach gelöst im Plasma mit. Das ist nur ungefähr 5 bis 10 Prozent, aber genau dieser gelöste Anteil bestimmt den CO₂-Partialdruck – also das Signal, auf das dein Gehirn, deine Gefäße und dein Atemzentrum reagieren. Der größte Teil, rund 70 Prozent, macht etwas Cleveres: Er wird in den roten Blutkörperchen mit Hilfe eines Enzyms in Bikarbonat umgewandelt. Dieses Bikarbonat wandert ins Blutplasma und wirkt dort wie ein Puffer für den pH-Wert. Es sorgt dafür, dass dein inneres Milieu trotz Belastung, Muskelarbeit oder Stress nicht sofort entgleist. Der Rest, ungefähr 10 bis 20 Prozent, bindet direkt an Hämoglobin, also an das gleiche Molekül, das auch deinen Sauerstoff transportiert.
Spannend wird es, wenn du dir anschaust, was dieses Zusammenspiel für deinen Sauerstoff bedeutet. Im arbeitenden Muskel steigt der CO₂-Gehalt, der pH-Wert sinkt leicht, das Milieu wird saurer. Genau darauf reagiert das Hämoglobin. Über den sogenannten Bohr-Effekt gibt es unter diesen Bedingungen den gebundenen Sauerstoff leichter wieder ab. Vereinfacht gesagt: Steigt CO₂ im Gewebe, wird dort der Sauerstoff „freigeschaltet“. Ohne genügend CO₂ würde das Hämoglobin den Sauerstoff viel sturer festhalten. Dein Blut könnte dann zwar tolle Sättigungswerte anzeigen, aber in den Muskeln und Organen käme weniger davon an.
Warum dich das interessieren sollte? Weil es erklärt, warum „viel atmen“ nicht automatisch „viel Leistung“ bedeutet – und warum ein gesundes CO₂-Niveau im Blut kein Problem, sondern Voraussetzung dafür ist, dass dein Körper unter Belastung funktioniert. Ob du läufst, tauchst, ins Eiswasser gehst oder einfach nur einen stressigen Tag hast: CO₂ ist einer der unsichtbaren Taktgeber im Hintergrund. Wenn du verstehst, wie es im Blut reist und wirkt, hörst du auf, es nur als Abfall zu sehen – und beginnst, es als das zu nutzen, was es ist: ein Schlüssel dafür, dass Sauerstoff dort ankommt, wo du ihn wirklich brauchst.

Wenn du die Luft anhältst, fühlt es sich oft so an, als würde dir langsam der Sauerstoff ausgehen. In Wirklichkeit passiert etwas anderes: Der stärkste Atemreiz entsteht nicht, weil der Sauerstoff knapp wird, sondern weil der Kohlendioxid-Partialdruck im Blut steigt und dein Gehirn auf den veränderten pH-Wert reagiert. Dein Körper merkt: CO₂ nimmt zu, das Milieu wird saurer – und darauf springen die Chemorezeptoren im Hirnstamm an. Der Drang zu atmen kommt deshalb meist lange bevor der Sauerstoff wirklich kritisch wird. Die meisten Menschen laufen im Alltag und auf Meereshöhe ohnehin mit fast voller Sauerstoffsättigung herum. Dieses „Noch mal Sauerstoff tanken“ vor einer Belastung ist in den meisten Fällen eher Ritual als Notwendigkeit. Du bist schon voll.
Spannend wird es da, wo du nicht versuchst, noch mehr Sauerstoff hineinzupressen, sondern lernst, mit dem steigenden CO₂ klarzukommen. Wenn du deine Toleranz gegenüber Kohlendioxid trainierst, verschiebst du den Punkt, an dem der Atemreiz einsetzt. Systematisches CO₂-Training – sauber, sicher und bewusst aufgebaut – bringt deinem Körper bei, dass ein steigender CO₂-Wert kein Grund für Panik sein muss. Die Chemorezeptoren gewöhnen sich an das neue Signalniveau, dein Puffersystem arbeitet geschmeidiger, der Kopf bleibt länger ruhig. Das spürst du sehr konkret: Die Atmung wird weniger hektisch, der Puls bleibt stabiler, der Sauerstoff wird im Gewebe besser abgegeben und du hast unter Belastung mehr nutzbare Leistung – im Wasser, im Eis, im Training und in ganz normalen Stressmomenten im Alltag. Du hörst auf, gegen deine Biochemie zu kämpfen, und fängst an, mit ihr zu arbeiten.


Wenn jemand vor dem Abtauchen oder Eisbaden hyperventiliert, ist der Blutsauerstoff am Start meistens fast voll gesättigt, irgendwo um die 98–100 %. Das klingt gut, hat sich aber im Vergleich zu deiner normalen Atmung kaum verändert: Sauerstoff ist da, und wenn du gesund bist, versorgt dich deine Alltagsatmung ziemlich zuverlässig – ganz ohne Drama.
Die Frage einer guten Sauerstoffversorgung liegt also nicht in der Menge, sondern in der Verfügbarkeit. Und nein, dein Gewebe kann kein Sauerstoff speichern, es verbraucht ihn. Punkt. Durch das aggressive „Wegatmen“ von CO₂ sinkt allerdings der CO₂-Partialdruck, der pH-Wert im Blut steigt, das Milieu wird basischer. Die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins verschiebt sich nach links – das Hämoglobin hält den Sauerstoff fester. Auf dem Pulsoximeter sieht das nach „Top-Sättigung“ aus, aber im Gewebe kommt weniger an. Parallel verengen sich im Gehirn die Gefäße, weil der niedrige CO₂-Spiegel eine Vasokonstriktion triggert. Deine Blutgefäße verengen sich, die resorbierende Oberfläche wird kleiner. Dein Gehirn bekommt weniger Blutfluss und weniger Sauerstoff, da er sich im entscheidenden Moment weniger bereitwillig vom Hämoglobin löst.
Genau daraus entsteht zunächst dieses trügerische Gefühl von Leichtigkeit und Klarheit im Kopf. Es ist kein Zeichen einer „perfekten Sauerstoffversorgung“, sondern das Resultat einer verschobenen inneren Statik: wenig CO₂, engere Gefäße, schlechtere O₂-Abgabe ins Gewebe und ein Atemzentrum, das sein wichtigstes Steuersignal verloren hat. Das Warnsystem, das normalerweise über den steigenden CO₂-Spiegel meldet „Es reicht, atme!“, ist leiser gestellt. Du fühlst dich subjektiv stabil, während dein Gehirn objektiv schlechter versorgt wird – obwohl der Pulsox am Finger noch lange entspannte Zahlen ausspuckt.
Unter Wasser wird das zur angekündigten Falle. Du startest mit hoher O₂-Sättigung, aber einer verschobenen Alarmanlage. Dein Körper verbraucht Sauerstoff, CO₂ baut sich nur langsam wieder auf, das Atemzentrum bleibt ruhig. Irgendwann sinkt der Sauerstoffpartialdruck im arteriellen Blut unter die kritische Schwelle fürs Gehirn – und dann kommt der Blackout. Nicht, weil du am Anfang „zu wenig Sauerstoff“ hattest, sondern weil du durch Hyperventilation das CO₂-Signal unterdrückt, die O₂-Abgabe ins Gewebe ungünstig verschoben und deinem Gehirn länger vorgespielt hast, alles sei in Ordnung.
Beim Eisbaden läuft derselbe Film mit Extra-Stressor. Die Kälte feuert den Sympathikus an, Herzschlag hoch, Atmung schnell, Kälteschockreflex. Wenn du davor auch noch hyperventilierst, schiebst du dein System in einen doppelten Alarmzustand: niedriger CO₂-Partialdruck, basischer pH, verengte Gefäße, ungünstige O₂-Abgabe – und oben drauf maximaler Stress durch die Kälte. Für einen Moment fühlt sich das vielleicht wie „unbesiegbar“ an, ist aber physiologisch eher ein kontrollierter Kontrollverlust.
Das leise Gegenprogramm wirkt von außen unspektakulär, ist innerlich aber deutlich smarter: ruhige Nasenatmung, eine Ausatmung, die etwas länger dauert als die Einatmung, Schultern weich, Blick nach unten. Schau auf die Wellen. CO₂ darf im System steigen und seinen Job machen – als Taktgeber, nicht als Feind. Über den Bohr-Effekt unterstützt es die Sauerstoffabgabe ins Gewebe. Gleichzeitig entsteht in den Nasennebenhöhlen Stickstoffmonoxid, das in der Lunge gefäßerweiternd wirkt und dafür sorgt, dass Belüftung und Durchblutung besser zusammenpassen. Der Gasaustausch wird effizienter, dein Nervensystem bekommt ein ehrliches Bild der Lage, und dein Körper reagiert auf reale Signale statt auf einen künstlichen Rausch.
Erfahrene Freediver und Menschen, die ernsthaft mit Kälte arbeiten, setzen genau dort an. Sie schrauben nicht wild am CO₂-Spiegel herum, um sich wegzudämpfen, sondern trainieren ihre CO₂-Toleranz, ihr Körpergefühl und die Fähigkeit, bei herausfordernden Signalen ruhig zu bleiben. Die Apnoe wird länger, nicht weil am Anfang „mehr Sauerstoff reingepumpt“ wurde, sondern weil das System besser reguliert ist: CO₂ darf steigen, O₂ wird sinnvoll abgegeben, das Gehirn bleibt so lange wie möglich versorgt – und der Taucher kennt seine Grenzen.
Am Ende entzaubert das viele Super-Power-Mythen: Hyperventilation ist keine geheime Abkürzung, sondern ein grober Eingriff in die Feinabstimmung von pH-Wert, von CO₂ und O₂-Abgabe. Im Wasser kann das lebensgefährlich enden, weil es genau das tut, was von außen so beeindruckend aussieht: Es macht dich scheinbar ruhig, während es dein Innenleben aus dem Rhythmus bringt.
Die eigentliche Kunst liegt nicht im Spektakel der Atmung, sondern im Verständnis der Biochemie – und in der Fähigkeit, mit einem ehrlichen Signalumfeld umzugehen. Regulation statt Rausch, Physiologie statt Legende.
Entgegen der landläufigen Meinung ist nicht nur der Sauerstoff, sondern vor allem das Kohlendioxid der Dirigent dieses Systems. CO₂ ist entscheidend für die Sauerstofffreigabe im Gewebe und der primäre Auslöser unseres Atemreizes.
Wir sind auf die natürliche Zusammensetzung der Luft optimiert; reiner Sauerstoff macht uns nicht fitter, sondern krank. Ein tiefes Verständnis dieser Mechanismen ermöglicht es uns, durch bewusstes Training unserer CO₂-Toleranz gelassener zu werden, unsere Leistung zu steigern und gefährliche Mythen wie die Hyperventilation zu entlarven. Die Lektion ist einfach, aber wirksam: Atme ruhig, atme durch die Nase und respektiere das geniale Gleichgewicht deines Atemsystems.
Sauerstoff bringt die Energie, Kohlendioxid steuert die Verteilung – zusammen formen sie das Gleichgewicht deines Atems. Wer die Wege des CO₂ versteht, sieht Atmung anders: nicht als „mehr ist besser“, sondern als präzises Zusammenspiel aus Gasen, pH-Wert, Gefäßweite und Nervensteuerung. CO₂ ist kein Feind, sondern ein Signal. Es lockert die Bindung zwischen Hämoglobin und Sauerstoff, lässt Muskeln und Gehirn besser versorgt arbeiten und macht dich ruhiger unter Druck. Bikarbonat im Plasma trägt die Hauptlast des Transports, Hämoglobin moduliert, Myoglobin hilft lokal, und Stickstoffmonoxid öffnet die Gefäße, damit alles dorthin kommt, wo es gebraucht wird.
Fürs Freediving und im Sport heißt das ganz konkret: Sicherheit und Leistung entstehen nicht aus „mehr Luft“, sondern aus Regulierung, CO₂-Toleranz und klarem Kopf. Die Vorbereitung ist ruhig, nasal, zwerchfellgeführt; der letzte Atemzug fühlt sich angenehm an, nicht maximal. So bleibt der Parasympathikus aktiv, Panikreaktionen werden gedämpft, und der Bohr-Effekt arbeitet für dich statt gegen dich. Und nimm dir die Freiheit, Mythen loszulassen. Je besser du die Prozesse verstehst, desto zuverlässiger wirkt dein Training – im Alltag, im Studio und im Wasser.
Für medizinische Fragen oder Diagnosen gilt wie immer: Klär das individuell mit Fachleuten. Für alles andere reicht dir heute ein ruhiger Atemzug.