Sauerstoff = Booster

Mythos 100 % Sauerstoff-Atmung

Die Idee klingt brutal logisch: Wenn 21 Prozent Sauerstoff in der Luft gut sind, dann müssen 100 Prozent doch erst recht abgehen – mehr Fokus, mehr Leistung, mehr Luft nach oben? Und genau hier beginnt schon das Missverständnis. Dein Blut ist im Alltag bei 95 bis 100 Prozent mit Sauerstoff gesättigt, die Transportplätze sind voll. Du kannst dein Hämoglobin nicht „überfüllen“, nur weil du stärker atmest oder reinen Sauerstoff einatmest. Reiner O₂ ist deshalb kein Turbo, sondern ein Spezialwerkzeug mit Nebenwirkungen: zu viel davon über längere Zeit kann Lunge und Gewebe schädigen, oxidativen Stress pushen und im Extremfall richtig gefährlich werden.

Weltrekorde wie die 29 Minuten Luftanhalten von Vitomir Maričić zeigen nicht, dass 100 Prozent Sauerstoff magisch sind – sie zeigen, was passiert, wenn man unter Laborbedingungen mit vollgeladenen Speichern, extrem niedrigen Verbrauch und maximaler Entspannung arbeitet. Für deinen Alltag, dein Training oder dein Freediving gelten andere Regeln. Mehr dazu unten.

Diese folgenden Artikel dienen lediglich Informationszwecken. Für medizinische Beratung oder eine Diagnose solltest du dich an einen Experten wenden.

100 % Sauerstoff atmen

Die Idee klingt verlockend: Wenn ein bisschen Sauerstoff gut ist, dann müssen 100 Prozent Sauerstoff ja der Turbo für Leistung, Fokus und Fitness sein. Genau hier beginnt schon das Missverständnis. Dein Körper läuft im Alltag ohnehin schon im „Vollmodus“. Bei gesunden Menschen ist das Hämoglobin, also der Sauerstofftransporter im Blut, meistens zu 95 bis 100 Prozent gesättigt. Mehr geht schlicht nicht. Dein Blut ist nicht wie ein Koffer, den du noch voller stopfen kannst, wenn du nur kräftiger atmest oder die Luft „reiner“ machst. Es gibt keinen geheimen Extra-Slot für zusätzlichen Sauerstoff – die Transportplätze sind bereits belegt.

Reinen Sauerstoff über längere Zeit zu atmen, bringt dir deshalb keinen Leistungsbonus, sondern ein Problem. Dein Körper ist auf die Mischung der Atmosphäre eingestellt: rund 21 Prozent Sauerstoff, der Rest überwiegend Stickstoff. Dieses Verhältnis ist das Ergebnis von ein paar Millionen Jahren Feintuning. Wenn du diese Balance künstlich in Richtung 100 Prozent Sauerstoff verschiebst, kann das Gewebe geschädigt werden. Es kommt zu Sauerstofftoxizität, oxidativem Stress, Reizungen in der Lunge, im Extremfall zu Symptomen wie Brustschmerzen, Husten, Atemnot oder Krampfanfällen. Dazu kommt ein ganz praktischer Punkt: Eine Umgebung mit reinem Sauerstoff wäre brandgefährlich im wörtlichen Sinne – Materialien, die in normaler Luft nur langsam oder gar nicht brennen, würden in so einem Setting regelrecht aufflammen.

Kurz gesagt: Mehr Sauerstoff ist für einen gesunden Körper nicht mehr Leistung, sondern irgendwann schlicht zu viel. Dein System braucht keine 100-Prozent-Sauerstoffwelt, sondern eine sinnvolle Balance – und genau darauf ist es gebaut.

Vitomir Maričić - >29 Minuten Luftanhalten - Rekord im Freediving

Nein, Vitomir hat keinen Rekord im Freediving-Alltag aufgestellt, sondern in einer Spezialdisziplin mit Voratmung von reinem Sauerstoff - und das verändert die Spielregeln massiv.

Stell dir Vitomir also nicht als Superhelden vor, der irgendetwas Übermenschliches kann, sondern als jemanden, der ein sehr spezielles Setting maximal ausnutzt. Sein Weltrekord – 29 Minuten ohne Luft nach reiner Sauerstoffzufuhr – klingt erstmal so, als würde er all das widerlegen, was wir vorher über „100 Prozent Sauerstoff“ gesagt haben. Tut er aber nicht. Er spielt einfach nach ganz anderen Regeln als du im Alltag, im Training oder beim normalen Freediving.

Hier das beeindruckende Video

Zum besseren Verständnis: Im normalen Leben atmest du Luft mit etwa 21 Prozent Sauerstoff. Daran ist dein Körper gewöhnt, er geht effizient damit um. Wenn du jetzt aber, wie Vitomir vor seinem Rekord, eine bestimmte Zeit lang reinen Sauerstoff atmest, verschiebst du die Startbedingungen massiv. Die Lunge ist dann nicht mehr mit normaler Luft gefüllt, sondern mit purem Sauerstoff. Deine Lungen haben damit die fünffache Reserve an Sauerstoff zu Verfügung als sonst. Der Sauerstoffpartialdruck bleibt länger stabil, als es unter normalen Bedingungen möglich wäre. Du startest also mit einem bis zum Rand vollgedrückten Spezialtank.

Dazu kommt: Vitomir bewegt sich während des Rekords praktisch gar nicht. Er liegt ruhig, extrem entspannt, Herzschlag runter, Stoffwechsel runter. Kein Kraulen, kein Tieftauchgang, kein Druckausgleich, kein Kälteschock, keine Tiefe, kein Nervensystem im Alarmmodus. Alles ist darauf ausgelegt, so wenig Sauerstoff wie möglich zu verbrauchen, während die Speicher vorher maximal gefüllt wurden. Das Ganze passiert in einem kontrollierten Umfeld, mit klaren Protokollen und Sicherheitsbackup. Das hat mit deinem normalen Training im See, mit Wellengang, Neopren, Ab- und Auftauchen, Orientierung und Kälte nur noch bedingt etwas zu tun.

Genau deshalb ist dieser Rekord kein Gegenargument zu der Aussage, dass 100 Prozent Sauerstoff im Alltag oder im normalen Sport wenig Sinn machen und auf Dauer sogar schädlich wären. Für deinen Körper im normalen Leben gilt weiterhin: Er ist auf die 21-prozentige Sauerstoffmischung angepasst, nicht auf Dauerbeschuss mit reinem O₂. Zu viel Sauerstoff über längere Zeit bedeutet oxidativen Stress, mögliche Gewebeschäden, im Extremfall Sauerstofftoxizität. Das bringt dir weder beim Laufen noch beim regulären Freediving einen echten Vorteil, sondern öffnet eher eine neue Baustelle.

Was du aus Vitomirs Rekord wirklich mitnehmen kannst, ist nicht: „Ich brauche reinen Sauerstoff“, sondern: Wie stark sich Leistung verschiebt, wenn du Startbedingungen, Verbrauch und Entspannung veränderst. Er zeigt, was möglich ist, wenn Sauerstoffspeicher maximal gefüllt sind, der Verbrauch extrem niedrig ist und der Kopf absolut ruhig bleibt. Für dich als Freediver oder jemand, der mit Kälte arbeitet, bleibt die Essenz dieselbe wie zuvor: Entscheidend sind CO₂-Toleranz, effiziente Atmung, Entspannung, Technik und ein Nervensystem, das unter echten Bedingungen ruhig bleiben kann – nicht die Fantasie, man könnte sich mit 100 Prozent Sauerstoff mal eben zur Superversion seiner selbst machen.

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